Turngauvorstellung Turngau Lahn-Dill
Der Turngau Lahn-Dill sollte eigentlich einer der bekanntesten im Hessischen Turnverband (HTV) sein. Schließlich ist er der Heimat-Turngau von Turn-Star Fabian Hambüchen. Ist das jetzt Segen und Fluch? Energisch widerspricht Wolfgang Hofmann. „Das ist kein Fluch, überwiegend Segen", formuliert es der neugewählte Präsident des Turngaus an den Flüssen Lahn und Dill. Da im Mittelhessischen können sie gut leben mit dem Turn-Professor und seinem Trainer-Vater Wolfgang Hambüchen. Auch wenn er nur selten vor Ort ist in dem Turngau, aus dem er stammt. In den er mit seiner Familie kurz nach der Geburt in Bergisch-Gladbach gezogen ist.
Wenn von den Ursprüngen des Reck-Weltmeisters die Rede ist, dann kommt unweigerlich die Kunstturn-Vereinigung (KTV) Wetzlar in den Sinn mit ihrem Trainingszentrum in Wetzlar-Niedergirmes. Mit Stolz firmiert die 1968 gegründete Einrichtung als „älteste KTV in Deutschland" und dürfte nach dem Hauptzentrum in Frankfurt von der Ausstattung her mit am besten in Hessen bestückt sein. Vom Glanz vergangener Jahre ist (nach zwischenzeitlichen Querelen um und mit Trainern etc.) nicht mehr viel zu verspüren. Das weiß Wolfgang Hofmann: „Wir müssen die Wirkung des Kunstturnleistungszentrum verbessern. Die lang andauernden Querelen waren hinderlich." Doch im weiblichen Bereich kann sich die KTV nach wie vor sehen lassen, nicht nur bei der Turntalentschule. Auch im männlichen Bereich verbessere sich die Situation durch Kooperationen, erzählen Hofmann und die beim Gesprächstermin anwesenden Karen Mirbach (-Cossmann), Ingeborg Oehler-Hofmann und Bert Felkl.
„Der Turngau hat sich bei der KTV in der Vergangenheit zu sehr rausgehalten. Jetzt hat sich der HTV etwas zurückgezogen. Da müssen wir uns mit drum kümmern. Es ist schließlich auch ein Angebot für die heimischen Vereine", hofft der Turngau-Präsident, dass das Leistungszentrum bestehen bleibt und noch mehr gefüllt wird.
Wenn nach diesen einleitenden Sätzen der Eindruck entsteht, die Musik des Turngaus spiele überwiegend in der Domstadt Wetzlar, dann ist das ein falscher Eindruck. „Das Turnen ist im Nordkreis stärker, es gibt keine Zentralisierung auf Wetzlar", erläutert Hofmann. So befindet sich die Geschäftsstelle des Turngaus (mit Geschäftsführer-Urgestein Peter Rehm) in Herborn. Die beiden an Mitgliedern stärksten Vereine kommen mit dem TV Haiger (Bestandserhebung 2014: 1232 Mitglieder) und TV Ehringshausen (885) von „ganz im Norden".
Und das Bergturnfest des Turngaus findet traditionell in uriger Atmosphäre im Schatten der Burg Greifenstein statt.
Das zweite Leistungssportzentrum des Turngaus liegt ebenfalls nördlich. Lahn-Dill überregional bekannt machen seit Jahrzehnten die Trampolinturner vom TV Dillenburg. „Die sind weiter sehr erfolgreich", freut sich Hofmann. Was der Trampolin-Pionier Rainer Stahl an der Dill aufgebaut hat, wird auch nach seinem zu frühen Tod 2007 im Alter von 62 Jahren weitergeführt, wobei Bafke Spang-Horna in die Fußstapfen des Begründers der Trampolin-Springer beim TV 1843 getreten ist.
Erwähnt werden müssen beim Stichwort „Leistungssport" auch die Prellballer des TV Aßlar und vom TV Herbornseelbach. Und die Mehrkämpfer in den Vereinen TV Dillenburg und TV Burg, wobei die 17-jährige Kaja-Marie als Deutsche Meisterin für jüngsten Glanz gesorgt hat.
Doch das sind die Speerspitzen des Leistungssports im Turngau, der sich eher in der Breite orientiert. „Wir decken ein breites Spektrum ab. Unsere Vereine sind meist breitensportlich orientiert", berichtet Bert Felkl, Vorgänger von Hofmann im Präsidenten-Amt. Und vor allem hier will die Turngau-Spitze zukünftig Akzente setzen. „Wir wollen auf die Marke Kinderturnen setzen", sagt Felkl und präzisiert nachfolgend, „nicht Kindergerätturnen". Kinderturnen also als Einführung „und als Grundlage für alle Sportarten", wie Ingeborg Oehler-Hofmann (nicht verwandt mit Wolfgang Hofmann) ergänzt. Das werde schon in vielen Vereinen so praktiziert, soll aber noch stärker herausgestellt werden, sagt die Stellvertretende Präsidentin. „Das ist etwas, was das Turnen auszeichnet. Weg vom Sportartendenken, hin zur sportlichen Grundausbildung", formuliert es Felkl. Hier soll die Zusammenarbeit mit Kindergärten und Grundschulen weiter ausgebaut werden.
Dass dieses Engagement aber auch Früchte für das Turnen trägt, macht Karen Mirbach deutlich. Bei den Gaupokalrunden der (jungen) Turnerinnen seien immerhin rund 250 Mädchen am Start! Dass sich die Zahl beim „starken Geschlecht" mit 15 eher bescheiden ausnimmt, will sie aber auch nicht verschweigen.
Den breitensportlichen Ansatz wollen die Turngau-Vertreter ebenso in einem anderen Bereich forcieren. „Es sind doch auf Vereinsebene meist die Turnvereine, die das Sportabzeichen anbieten", sagt Wolfgang Hofmann, „dieser Aufgabe wollen wir uns noch stärker annehmen." So soll dieses Thema auf die Initiative der Lahn-Diller hin beim Landesturnfest 2015 in Gießen besonders eingebracht werden.
Neue Wege gehen die Verantwortlichen gerne, obwohl sie auf eine lange Tradition zurückblicken können. Denn ein Turngau Lahn-Dill war schon 1877 gegründet worden, reichte aber geografisch bis nach Limburg und ins jetzige Rheinland-Pfalz hinein.
Als Neuerung haben die TG-Initiatoren einen Modellversuch gestartet und das alljährliche Gauturnfest in ein „Turn-Sport- und Spielfest" (mit der Premiere beim TSV Bicken) umgewidmet, damit die ausrichtenden Vereine es mit zusätzlichen Angeboten aus dem eigenen Verein und mit anderen Inhalten attraktiver machen können. „Es ist eine neue Ausrichtung. Wir wollen damit auch andere Teilnehmer ansprechen. Wir werden es mit großer Wahrscheinlichkeit so weitermachen", zeigen sich die Hofmann und Co. noch etwas zögerlich.
Vollauf überzeugt sind sie aber von der bereits vorgenommenen Umstrukturierung der Turngau-Arbeit. Seit 2007 gibt es Arbeitsgruppen (inzwischen von ursprünglich elf auf acht reduziert), die nach Aussage der Beteiligten sehr gut funktionieren, eine enge Anbindung an das Präsidium haben und diesem zuarbeiten. Zudem sei das Präsidium „voll besetzt" und auch mit Vertretern der Turnjugend bestückt, zeigt sich ein gewisser Stolz. Seit wenigen Monaten hat Wolfgang Hofmann vom TV Burgsolms das Führungsamt übernommen. „Da musste ich 66 Jahre alt werden, um erstmals Präsident sein zu können", weist er auf eine Besonderheit des Turngaus Lahn-Dill hin, dass es hier keine Vorsitzenden, sondern Präsidenten gibt. Zugute kam ihm, dass er als ehemaliger Sportdezernent des Lahn-Dill-Kreises die Materie sehr gut kennt. Und vielleicht genauso, dass die Ausbreitung des Turngaus Lahn-Dill auch den politischen Grenzen entspricht. Und das schon lange, bevor der Lahn-Dill-Kreis seine jetzige räumliche Gestalt erhielt.
Albert Mehl
Steckbrief:
Name: Turngau Lahn-Dill
Gründungsjahr: 1953 (Gründung eines Turngaus unter diesem Namen schon 1877, mit anderen geografischen Grenzen aber)
Anzahl der Mitglieder: 28 670
Größe: Lahn-Dill-Kreis
Anzahl der Vereine: 119
Vorsitzender (Präsident): Wolfgang Hofmann
Quellen: Turnen in Hessen, Dezember 2014


